Die Orishas in der SanterĂa: von afrikanischen Göttern zu Heiligen
Die Religion der Yoruba, die ursprĂŒnglich aus Afrika stammt und sich durch den Kult an die Orishas auszeichnet, hat in vielen LĂ€ndern Lateinamerikas tiefe Wurzeln geschlagen. Ein Beispiel ist die SanterĂa in der Karibik
Vielleicht bist du in deinem letzten Urlaub auf Kuba Menschen entgegengekommen, die ganz in WeiĂ gekleidet waren? Oder hast Altare mit bunt geschmĂŒckten Statuen gesehen, die an katholische Heilige erinnerten, aber irgendwie doch anders aussahen? Vielleicht hast du auch TrommelklĂ€ngen und GesĂ€ngen gelauscht, die sich anhörten, als wĂ€rst du in Afrika? Dann war das wohl dein erster Kontakt mit der SanterĂa, einer der wichtigsten unter den afroamerikanischen Religionen, in der die Orishas, eine Verschmelzung von afrikanischen Göttern und katholischen Heiligen verehrt werden. Diese ursprĂŒnglich afrikanische Religion aus dem Volke der Yoruba ist tief in der Kultur verschiedener karibischer LĂ€nder, insbesondere Kubas, verwurzelt und wird auch in anderen LĂ€ndern Lateinamerikas und den Vereinigten Staaten praktiziert. Als AuĂenstehender â sprich Tourist â nĂ€hert man sich der SanterĂa und den Orishas am besten ĂŒber die universellste aller Sprachen: der Musik.
Der Ursprung der SanterĂa: die Religion der Yoruba
Die meisten afrikanischen Sklaven, die ab dem 16. Jahrhundert in die Karibik verschleppt wurden, stammten aus Westafrika, dem heutigen Nigeria, Togo, Ghana und Benin. In dieser Region lebte die Ethnie der Yoruba, die eine animistische Religion besaĂen. Sie glaubten an eine oberste Gottheit â Oloddumare â, Ur- und Schöpferkraft des Universums, die sich jedoch weit von den Menschen entfernt befand, so dass sie nicht direkt mit ihr in Kontakt treten konnten. HierfĂŒr waren die Orishas zustĂ€ndig, eine Art BrĂŒcke zwischen Oloddumare und den Menschen.
Jeder Orisha hat seinen eigenen ZustÀndigkeitsbereich, etwa wie bei den griechischen Göttern
Jeder Orisha hat seinen eigenen ZustĂ€ndigkeitsbereich, etwa wie bei den griechischen Göttern. So ist YemayĂĄ die Göttin des Meeres und der Fruchtbarkeit; ElegguĂĄ ist der Orisha der Wege der Menschen und ihres Schicksals; ChangĂł ist der Orisha des Blitzes und Donners, des Feuers und der Gerechtigkeit; OshĂșn ist die Göttin der FlĂŒsse, der Liebe und der Schönheit (eine Art afrikanische Aphrodite), BabalĂș AyĂ© heilt die Kranken und ObbatalĂĄ ist der mĂ€chtigste der Orishas, der die Erde und den Menschen geschaffen hat. Von den hunderten Orishas der ursprĂŒnglichen afrikanischen Yoruba-Religion werden in der Karibik heute um die 35 verehrt. Ein weiterer wichtiger Begriff der Religion der Yoruba ist âAchĂ©â, die lebensspendende Kraft von Oloddumare, die alle Wesen durchdringt.
Die weiĂe Farbe der Kleider ist typisch fĂŒr den Kult der Orishas
Die synkretische Religion der Karibik
Die Sklaven wurden gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen, und ihnen wurde verboten, ihre eigene Religion zu praktizieren. Allerdings fanden sie einen Ausweg aus diesem Dilemma: Sie begannen, die Orishas mit den Heiligen des Katholizismus zu identifizieren, damit es von auĂen so aussah, als wĂŒrden sie z. B die heilige Barbara verehren, aber in Wirklichkeit meinten sie damit ChangĂł. Jeder Orisha wurde so mit einem Heiligen identifiziert, daher der Name âSanterĂaâ (von span. âSantoâ= Heiliger). Die mĂ€chtige YemayĂĄ ist z. B. der Virgen de la Caridad del Cobre (Barmherzige Jungfrau von Cobre), der Schutzpatronin von Kuba, gleichgestellt. Auf diese Weise entstand im Laufe der Zeit eine synkretische Religion in der Karibik. Andere afroamerikanische Religionen, die ebenfalls auf dem Glauben der Yoruba basieren, sind zum Beispiel der Voodoo in Haiti oder CandomblĂ© in Brasilien.
Die Ketten stehen je nach Farbe fĂŒr verschiedene Orishas, eine weiĂe Kette reprĂ€sentiert ObbatalĂĄ
Die Orishas in der Kultur der Karibik
Bei der SanterĂa handelt es sich also keineswegs um eine Sekte, um Okkultismus oder gar um schwarze Magie. Dass sie in der Vergangenheit â Ă€hnlich wie der Voodoo - einen schlechten Ruf gehabt hat, liegt wohl vor allem daran, dass sie dem Katholizismus direkte Konkurrenz macht, der sie heutzutage zwar duldet, aber keineswegs anerkennt. So war das Wort âSanterĂaâ ursprĂŒnglich eigentlich eine abwertende Bezeichnung von Seiten der Katholiken. Ein wenig mag es aber auch daran liegen, dass gelegentlich Missbrauch mit dieser Religion getrieben wird â wie mit wohl allen Religionen der Welt. So geben sich die Priester dieser Religion manchmal als Heiler aus und verwenden dabei fragwĂŒrdige Praktiken. Heute ist die SanterĂa in einem Land wie Kuba aber in allen Gesellschaftsschichten verbreitet und wird keineswegs nur von den Nachkommen der afrikanischen Sklaven, sondern auch von europĂ€isch-stĂ€mmigen Kubanern praktiziert.
Die SanterĂa hat vor allem einen enormen Einfluss auf die Kultur der karibischen LĂ€nder gehabt
Und sie hat vor allem einen enormen Einfluss auf die Kultur der karibischen LĂ€nder gehabt. Denn es ist natĂŒrlich keineswegs so, dass jetzt alle Kubaner an die SanterĂa glauben (wirklich praktizierend sind nur ein kleiner Teil); aber alle Kubaner haben in irgendeiner Weise damit zu tun und können etwas damit anfangen. Zum Vergleich: In Europa sind auch nicht alle glĂ€ubig, aber jeder kennt zum Beispiel die Geschichte von Maria und Josef. Und so weiĂ in Kuba eben jeder, wer ChangĂł ist, auch wenn er nicht an die SanterĂa glaubt. Die Orishas haben ihren festen Platz in der Kultur und dem Alltag der karibischen LĂ€nder und tauchen daher auch immer wieder in verschiedenen Kunstformen wie der Malerei oder der Musik auf (s. u.). Und sogar in der Sprache hat die SanterĂa ihre Spuren hinterlassen. So sagt man in Kuba zum Beispiel âtener achĂ©â fĂŒr âGlĂŒck habenâ.
Der CallejĂłn de Hamel in Havanna. Ein Ort, der der afro-kubanischen Kultur gewidmet ist
Die SanterĂa und die Musik
Die Musik spielt eine besonders wichtige Rolle in der SanterĂa und ist der beste Weg, als AuĂenstehender einen Zugang dazu zu erhalten.
Zeremonielle Musik der SanterĂa
Die meisten Zeremonien der SanterĂa werden mit Musik begleitet. Ăhnlich wie beim Voodoo gibt es TĂ€nze, bei denen der TĂ€nzer in Trance gerĂ€t und ein Orisha von ihm Besitz ergreift und durch ihn spricht. Alle GesĂ€nge und alle Rhythmen fĂŒr diese Zeremonien stammen aus Afrika (was ĂŒbrigens fĂŒr die meisten karibischen Rhythmen gilt). Der Gesang wird traditionell nur von Trommeln begleitet. FĂŒr spezielle religiöse Zeremonien sind das die BatĂĄ-Trommeln, die als heilig gelten. FĂŒr weniger zeremonielle AnlĂ€sse werden andere Instrumente wie GĂŒiros, traditionelle Fasstrommeln oder moderne Congas verwendet.
Interessant ist, dass man in der Sprache der Yoruba singt, die weder in Kuba noch in anderen karibischen LĂ€ndern gesprochen wird
Interessant ist, dass man in der Sprache der Yoruba singt, die weder in Kuba noch in anderen karibischen LĂ€ndern gesprochen wird. Nur die GesĂ€nge sind erhalten geblieben. Das ist in etwa vergleichbar mit dem Gebrauch des Lateinischen durch die katholische Kirche als Sprache der Liturgie. Auch dies ist ja keine lebendige Sprache mehr. Was dem Katholizismus das Latein, ist der SanterĂa also das Yoruba.
Kubanische Folklore
Auch viele kubanische Volkslieder sind den Orishas gewidmet, ohne dass es sich dabei um zeremonielle GesĂ€nge handelt. Diese werden dann meist auch auf Spanisch oder aus einer Mischung aus Spanisch und Yoruba gesungen. Ein berĂŒhmtes Beispiel ist das Lied âQue viva ChangĂłâ (Es lebe ChangĂł) vom Duo Celina y Reutilio, in dem sowohl ChangĂł als auch die mit diesem Orisha assoziierte Heilige Barbara erwĂ€hnt werden.
Blumen sind eine beliebte Opfergabe fĂŒr die Altare der SanterĂa
SanterĂa und Salsa
Wer hin und wieder gerne Salsa tanzen geht, hat bestimmt schon mal den ein oder anderen SanterĂa-Song gehört (vielleicht, ohne es zu wissen). Viele berĂŒhmte Salsa-SĂ€nger und Komponisten haben einige ihrer Lieder den Orishas oder einem Thema der SanterĂa gewidmet. Allen voran die âSalsa-Königinâ Celia Cruz. Sie ist bekannt fĂŒr Hits wie âAchĂ© para todosâ (AchĂ© fĂŒr alle) oder âOyĂĄ, Diosa y Feâ, der dem weiblichen Orisha OyĂĄ, aber auch anderen Orishas gewidmet ist. Weniger bekannt (zumindest im Ausland) sind ihre Aufnahmen traditioneller GesĂ€nge, bei denen sie nur von Trommeln begleitet wird. Auch Salsa-Ikone HĂ©ctor Lavoe beispielsweise hat den Orishas und der SanterĂa gleich mehrere Lieder gewidmet, wie etwa âPara OchĂșnâ (fĂŒr OchĂșn), âAguanileâ oder âRompe SaragĂŒeyâ (ein Heilkraut der SanterĂa).
Fast jede Salsa-GröĂe hat den ein oder anderen SanterĂa-Song im Repertoire
Und so hat fast jede Salsa-GröĂe den ein oder anderen SanterĂa-Song im Repertoire: âHijo de YemayĂĄâ von Ismael Quintana, âElube changĂłâ von Afro-Cuban All Stars (und vielen anderen Interpreten), âFlores para tu altarâ (Blumen fĂŒr deinen Altar) von DimensiĂłn Latina... die Liste ist lang. Es gibt sogar Sammelalben speziell mit dieser Thematik. Bemerkenswert bei vielen dieser Lieder ist, dass weiĂe, also europĂ€isch-stĂ€mmige SĂ€nger auf einmal wie selbstverstĂ€ndlich SĂ€tze in der Sprache der Yoruba singen.
Andere moderne Musik
Auch andere moderne Musikstile haben die Orishas und die SanterĂa fĂŒr sich entdeckt. Allen voran die kubanische Hip-Hop-Band âOrishasâ, bei der man schon am Namen erkennt, wo der Hase lĂ€uft. âCanto para Elewa y ChangĂłâ ist einer ihrer bekanntesten Songs, der den Orishas gewidmet ist.
Wenn man sich fĂŒr das Thema interessiert und das echte Kuba entdecken möchte, ist der einfachste Zugang also mit Sicherheit die Musik. Wenn du Urlaub in der Dominikanischen Republik, Puerto Rico oder Kuba machst, bleib einfach mal stehen, wenn du irgendwo Trommeln und Gesang hörst. Vielleicht entdeckst du etwas AuĂergewöhnliches...